Vertrauen schaffen durch Transparenz: Wie NewsGuard Fehlinformationen bekämpft
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Roberta Schmid ist Managing Editor und Vice President Partnerships, Deutschland und Österreich bei NewsGuard. Zuletzt durften wir sie bei der EXPLAINED Cybersecurity im Oktober 2022 auf dem Panel "Wehrhafte Demokratie? Desinformation und wie wir uns dagegen verteidigen" begrüßen.
Im Interview mit uns spricht sie über die Arbeit von NewsGuard und welche Trends sich in den vergangenen Monaten abzeichneten.
Wie definieren Sie Desinformation und wie geht NewsGuard dagegen vor?
Wir befassen uns sowohl mit klassischen Falschnachrichten, die versehentlich in Umlauf gebracht wurden, als auch mit irreführenden und falschen Informationen, die gezielt verbreitet werden, um Menschen bewusst zu täuschen oder zu beeinflussen. Letzteres ist Desinformation.
NewsGuards Team von ausgebildeten Journalist*innen und erfahrenen Redakteur*innen erstellt anhand von neun journalistischen Kriterien Bewertungen und Mediensteckbriefe für Nachrichten- und Informationsseiten, die gemeinsam für 95 Prozent der Social-Media-Interaktionen in dem jeweiligen Land verantwortlich sind. Die Kriterien spiegeln grundlegende journalistische Anforderungen an Glaubwürdigkeit und Transparenz wider. Dabei analysieren wir etwa, ob eine Quelle wiederholt Falschinformationen veröffentlicht hat, ob Fehler transparent korrigiert werden oder irreführende Überschriften vermieden werden. Die Kriterien sind unterschiedlich gewichtet und jede Webseite erhält einen entsprechenden Score zwischen 0 und 100. Dieser wird auch als Prozentzahl dargestellt, sowie mit einer Rating-Einordnung versehen, die verdeutlicht, wie viele der Kriterien erfüllt werden.
Nutzer*innen steht das Angebot über eine Browser-Erweiterung zur Verfügung. Wenn diese installiert ist, wird Nutzer*innen automatisch beim Browsen im Netz die Bew ertung jeder Webseite in Form eines Symbols und einer Prozentzahl neben den Links in Suchmaschinen und auf Social Media-Plattformen angezeigt. Der zugehörige Mediensteckbrief kann per Klick auf das Icon angezeigt werden und erläutert nicht nur im Detail, wie das Team von NewsGuard zu seiner Bewertung kam, sondern bietet Nutzer*innen Hintergrundinformationen zur Finanzierung, möglichen Interessenskonflikten und Geschichte der Webseite.
Wie wird dabei sichergestellt, dass die Bewertungen von NewsGuard objektiv und vorurteilsfrei sind?
Unser Bewertungsprozess wurde entwickelt, um sicherzustellen, dass unsere neun journalistischen Kriterien auf alle Webseiten gleichermaßen fair und korrekt angewandt werden — unabhängig von Thema, Tonalität oder von etwaiger politischer Ausrichtung der Seite und unabhängig davon, ob es sich um eine etablierte größere Nachrichtenseite oder ein kleines digitales Startup-Unternehmen handelt. Die Bewertung einer jeden Webseite basiert allein auf ihrer Erfüllung der neun Kriterien und diese Kriterien sind unpolitisch. An unserem mehrstufigen Verfahren sind zudem nicht nur ein ganzes Team von erfahrenen Journalist*innen und Redakteur*innen beteiligt, sondern auch die CEOs von NewsGuard, die selbst Journalisten mit jahrelanger Erfahrung sind und jeden Mediensteckbrief vor der Veröffentlichung überprüfen. So wollen wir sicherstellen, dass jede Bewertung so fair und korrekt wie möglich ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist unsere eigene Transparenz darüber, wie wir sämtliche Entscheidungen treffen. Unsere Mediensteckbriefe erläutern den Hintergrund zu jeder unserer Einschätzungen. Die neun Kriterien, die wir zur Bewertung der journalistischen Praktiken jeder Webseite heranziehen, legen wir auf unserer Webseite offen und erläutern sie ausführlich. Wir sind kein undurchsichtiger Algorithmus. Einer unserer Standards ist zudem, dass wir konzertierte Anstrengungen unternehmen, von jeder Website eine Stellungnahme einzuholen, bevor wir Punkte abziehen. Diese Stellungnahmen werden grundsätzlich immer in unsere Mediensteckbriefe mit aufgenommen (oder aber wir nehmen nach Abwägung der Stellungnahme Änderungen vor, wenn sich unsere ursprüngliche Schlussfolgerung als falsch erweist). Selbstverständlich nehmen wir von den bewerteten Webseiten keine Gelder an.
Wie arbeitet NewsGuard mit Nachrichtenorganisationen und Medien zusammen, um die Genauigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Berichterstattung zu verbessern?
Wir arbeiten nicht direkt mit von uns bewerteten Webseiten zusammen, damit sie sich verbessern. Wir arbeiten nicht für Webseiten, sondern für Nutzer*innen. Dennoch ist das häufig ein positiver Nebeneffekt unserer Arbeit. Es kommt immer wieder vor, dass Herausgeber*innen sich mit uns austauschen, nachdem sie von uns als Teil der Analyse kontaktiert wurden. Immer wieder führt dies dazu, dass Praktiken verbessert werden, was wir dann natürlich ebenfalls in unseren Analysen vermerken. Wir aktualisieren all unsere Bewertungen zudem jedes Jahr aufs neue, da es natürlich auch zu Änderungen kommen kann, über die wir nicht direkt informiert werden. 2022 allein haben von unseren mittlerweile über 8.000 bewerteten Webseiten mehr als 2.000 Nachrichtenseiten Schritte unternommen, um ihre Praktiken zu verbessern und ihre NewsGuard-Bewertungen zu erhöhen, nachdem sie von uns bewertet und kontaktiert wurden.
Neben den Vertrauensbewertungen von Nachrichtenseiten veröffentlicht NewsGuard auch regelmäßig Analysen und Monitorings zu verschiedenen Themen. Welche aktuellen Trends beobachten Sie momentan – weltweit und insbesondere in Deutschland?
Ja, das stimmt. NewsGuards kostenloser Misinformation Monitor liefert regelmäßig Neuigkeiten zum Thema Falschinformationen und Desinformation im Netz mit exklusiven Daten aus allen Ländern, die NewsGuard abdeckt. Außerdem veröffentlichen wir Tracker zu falschen Narrativen über aktuelle Themen wie den Ukraine-Krieg oder in der Vergangenheit die Bundestagswahl und Corona.
Auch im Jahr 2022 verbreiteten sich Fehlinformationen über COVID-19 und Impfstoffe weiter, insbesondere als die Omicron-Variante im Januar für einen sprunghaften Anstieg der Fälle sorgte. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine Ende Februar änderte sich jedoch der Fokus der Fehlinformationen im Netz. Seitdem haben falsche Behauptungen und Propaganda über den Krieg Gesundheitsthemen als dominierende Falschinformationen auf nicht vertrauenswürdigen deutschen Webseiten abgelöst.
Die im Laufe des Krieges entstandenen Narrative versuchten, die ukrainische Armee zu diskreditieren, sowie ukrainische Flüchtlinge und internationale Hilfsorganisationen in der Ukraine zu diffamieren. Deutschland war eine besondere Zielscheibe für Narrative, die ukrainische Flüchtlinge dämonisieren und ihnen oft grundlos Verbrechen vorwerfen. Tatsächlich hat NewsGuard seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 mehr als 330 Nachrichtenseiten in mehreren Sprachen identifiziert sowie mehr als 100 Mythen über den Krieg entlarvt. Wir aktualisieren diese weiterhin wöchentlich und halten sie in unserem Tracking-Center für Falschinformationen über den Krieg in der Ukraine fest, von denen viele von Telegram-Kanälen zu stammen scheinen oder zuerst in den Sozialen Medien aufkommen.
Neben den Webseiten, die wiederholt zu verschiedenen Themen Falschinformationen verbreiten, sind es die Sozialen Medien, insbesondere TikTok und Twitter, auf denen sowohl Fehlinformation als auch Desinformation gestreut wird. Beispielsweise ergab eine im September von NewsGuard durchgeführte Recherche zu TikTok, dass im Verlauf einer Stichprobe bei fast 20 Prozent von Suchanfragen zu aktuellen Themen die in den Ergebnissen angezeigten Videos Fehlinformationen enthielten. TikTok-Nutzer*innen erhielten also bei Suchanfragen zu Themen wie die russische Invasion in der Ukraine, Amokläufe in Schulen und COVID-Impfstoffe regelmäßig falsche und irreführende Informationen.
In unserem letzten Monitor untersuchten wir, dass der KI-Chatbot ChatGPT als Instrument zur Erzeugung von Fehlinformationen genutzt werden könnte. Unser Experiment zeigte, dass ChatGPT oft nicht differenziert mit suggestiven Fragen zu aktuellen Themen — etwa COVID-19, der Ukraine und Amokläufen in den USA — umgehen kann. In 80 Prozent der Fälle enthielten die Antworten des Chatbot falsche und irreführende Behauptungen.
Wie können Einzelpersonen und Organisationen NewsGuard nutzen, um Fehlinformationen und Desinformationen im Internet zu erkennen und zu vermeiden?
NewsGuard stellt umfangreiche Datensätze und Tools zur Verfügung, um sowohl manuelle als auch algorithmische Entscheidungsprozesse in verschiedenen Branchen zu unterstützen.
Unsere Zuverlässigkeitsbewertungen für Nachrichtenquellen ermöglichen es Technologieunternehmen, Inhalte aus vertrauenswürdigen Quellen zu fördern – und zugleich Quellen zu kennzeichnen, die potenziell Fehlinformationen verbreiten. Unsere zweite NewsGuard-Datenbank mit den häufigsten Falschmeldungen im Internet hilft Menschen und Algorithmen dabei, falsche Behauptungen auf Ihren Plattformen zu erkennen, zu verfolgen und zu verhindern.
Wir arbeiten mit digitalen Plattformen zusammen, um Nutzer*innen vor unseriösen Quellen zu warnen und die Verbreitung von Fehlinformationen zu kontrollieren. Unsere Partnerschaft mit Microsoft ermöglicht zum Beispiel auch allen Benutzer*innen des Desktop-Browsers von Microsoft Edge den kostenlosen Zugriff auf die Bewertungen von NewsGuard, ohne die monatliche Abonnementgebühr von 4,95 Euro zu zahlen. Microsoft sponsort zudem das Medienkompetenz-Programm von NewsGuard an mittlerweile über 800 öffentlichen Bibliotheken weltweit, an welchen wir durch die Bereitstellung unseres Plug-ins sowie durch Workshops Medienkompetenz an Schüler*innen und Bibliotheksnutzer*innen vermitteln.
Durch unsere Bewertungen unterstützen wir Werbetreibende bei der Ausrichtung ihrer Werbeausgaben weg von Quellen, die Fehlinformationen verbreiten, und hin zu Anbietern von Qualitätsjournalismus, sowie Sicherheitsbehörden und Unternehmen für Cybersicherheit bei der Verfolgung und Bekämpfung von Desinformation und Extremismus. Wir beraten Aggregationsdienste bei der Kuratierung von Nachrichten und Informationen von hochkarätigen Herausgeber:innen. Forscher*innen können unsere detaillierten Datensätze für ihre Forschung zu Fehl- und Desinformation lizenzieren. Unsere Daten ermöglichen es zudem Internet- und Mobilfunkanbietern, den von ihnen versorgten Haushalten ein sicheres, vertrauenswürdiges Internetangebot zur Verfügung zu stellen. Mit einer Browser-Erweiterung, mobilen Anwendungen, einem Web-Dashboard und Optionen zur Verknüpfung mit Kindersicherungen und Antiviren-Tools bietet NewsGuard deren Kund*innen einen Schutz vor gefährlichen Falschmeldungen und Desinformation.
Aber auch Einzelpersonen helfen wir zu erkennen, welchen Nachrichtenquellen sie vertrauen können. Mit Bewertungen für über 8.500 Webseiten, die von professionellen Journalist*innen verfasst wurden, bietet NewsGuard ausführliche Hintergründe für das Lesen von Online-Nachrichten. Einzelpersonen können diese Bewertungen über unsere Browser-Erweiterung kostenlos mit einer zweiwöchigen Probe-Mitgliedschaft einsehen, indem sie sich auf unserer Webseite registrieren (danach 4,95Euro/Monat).